Duft nach Weiß
Bulgarien 1987: Die 17-jährige Anelija will fort - raus aus den Zwängen. Auf der Ladefläche eines Lastwagens macht sie sich auf die gefährliche Reise nach Deutschland - das Land, von dem sie sich Freiheit und Unabhängigkeit verspricht. Und das Land, in das ihre Mutter ging, als Anelija fünf Jahre alt war ... 10 Jahre zuvor floh der Schriftsteller Georgi Markow aus Sofia nach London. Seine Bücher sind in Bulgarien verboten und seine öffentliche Kritik des Regimes aus dem Exil wird für ihn immer gefährlicher. Markow soll für immer zum Schweigen gebracht werden. Einfühlsam verknüpft Stefanie Gregg die Geschichten des Mädchens Anelija, aufgewachsen bei ihrer Großmutter in einem kleinen Dorf und die des Schriftstellers Georgi Markow, der 1978 Opfer des spektakulären Regenschirm-Attentats in London wurde.
Leseprobe:
Als der Postbote mit diesem weißen Brief winkte und immer wieder rief: "Ein Brief von ihr, Frau Lulewa!", da nahm meine Baba mich freudestrahlend von ihrem Schoß, um aufzustehen, und sogar die alte Baba Milena kam mit ihrem wackelnden Gang aus dem Haus heraus, um zu sehen, ob es wirklich eine Nachricht von ihr war. Ich staunte über den weißen Umschlag. Ich konnte mich nicht erinnern, je ein so weißes Papier gesehen zu haben. Es strahlte geradezu. Baba und Baba Milena saßen um den Küchentisch und blickten auf den noch ungeöffneten, strahlend weißen Brief wie auf einen Goldschatz. Beide sahen plötzlich so jung aus. "Komm, Aneltsche, komm, mein Kleines, deine Mama hat geschrieben. Aus Germania, aus Deutschland." Deutschland. Hatte ich von diesem Land schon jemals vorher gehört? Ich weiß es nicht mehr. Germania. Das klang hart und stark und kraftvoll und ganz anders. Deutschland. Das wurde das Wort, das mir in den folgenden Jahren alles verheißen sollte, was ich nicht hatte. Deutschland, weiß wie das Papier.