Verlag | btb |
Auflage | 2011 |
Seiten | 480 |
Format | 19 cm |
Gewicht | 382 g |
Reihe | btb 73880 |
ISBN-10 | 3442738806 |
ISBN-13 | 9783442738809 |
Bestell-Nr | 44273880M |
Der New-York-Times-Bestseller - erstmals im Taschenbuch!
Fünfzehn Jahre ist es her, seit Towner Whitney ihren Heimatort Salem in Neuengland verlassen hat. Fünfzehn Jahre, in denen sie abschließen wollte mit ihrer Vergangenheit, mit ihrer selbstsüchtigen Mutter und dem Tod ihrer Zwillingsschwester. Doch dann wird ihre exzentrische Großtante Eva vermisst, und ein paar Tage später wird deren Leiche an die Küste gespült. Und das ist nur der Anfang einer Reihe unheilvoller Geschehnisse. Towner will endlich die Wahrheit herausfinden - über das Schicksal ihrer Großtante, über die eigenwilligen Frauen aus ihrer Familie und vor allem über sich selbst.
Leseprobe:
Ich heiße Towner Whitney. Nein, das ist nicht ganz richtig. Mein wirklicher Vorname lautet Sophya. Glauben Sie mir bloß kein Wort. Ich lüge andauernd. / Weil ich nämlich verrückt bin ... Das ist allerdings die Wahrheit. / Mein kleiner Bruder Beezer, ein weitaus freundlicherer Mensch als ich es bin, behauptet, das mit dem Verrücktsein sei genetisch bedingt. Seit fünf Generationen haben wir Verrückte in der Familie, sagt er, als wäre das eine besondere Auszeichnung, auf die er stolz sein kann. Aber er gibt auch zu, dass ich dabei wahrscheinlich ganz neue Höhen erreicht habe. / Bis ich daherkam, bezeichnete man in der Stadt Salem Leute wie die Familie Whitney wohlwollend als schrullig. Gehörte man zum alten Geldadel von Salem, hieß es niemals, man sei verrückt, selbst wenn das Geld längst weg war. Man konnte als ungewöhnlich gelten oder gar als komischer Kauz, aber das absolute Lieblingswort für so eine Befindlichkeit war zweifellos schrullig. / Die männlichen Whitneys waren über Generationen hinweg allesamt berühmt für ihre Schrullen: von den See- und Industriekapitänen bis hin zu meinem kleinen Bruder Beezer, der sich in Wissenschaftlerkreisen mit seinen Artikeln über Teilchenphysik und die Stringtheorie einen Namen gemacht hat. / Unser Ururgroßvater schlug Kapital aus seiner Obsession für Damenfüße und machte eine steile Karriere als Industriekapitän in der florierenden Schuhindustrie von Lynn. Er gründete einen Betrieb, der über die Generationen bis zu meinem Großvater G. G. Whitney vererbt wurde. Unser Urururgroßvater, der es auch schon zum Kapitän gebracht hatte, hatte eine Schwäche für den Duft von Zimt, die manche als zwanghaft betrachteten. Er baute schließlich eine Gewürzhandelsflotte auf, die um die Erde segelte und Salem zu einem der reichsten Häfen der Neuen Welt machte. / Trotzdem würde jeder eingestehen, dass es die Frauen in der Familie Whitney waren, die das mit der Schrulligkeit immer wieder auf die Spitze getrieben haben. Meine Mutter May zum Beispiel ist ein lebender Widerspruch in sich. Als überzeugte Einsiedlerin hat sie (ihre Festnahmen ausgenommen) ihr Haus auf Yellow Dog Island seit zwanzig Jahren kaum verlassen. Trotzdem hat May es geschafft, die lange brachliegende Herstellung von Klöppelspitze wieder zu beleben und damit berühmt zu werden. Einen beträchtlichen Ruf erwarb sie sich dadurch, dass sie misshandelte Frauen und Kinder aufnahm und deren Leben eine Wende gab, indem sie die Frauen bei sich in der Spitzenklöppelei beschäftigte und die Kinder selbst unterrichtete. Dabei war sie eine Frau, die unter fürchterlicher Agoraphobie litt und eines ihrer eigenen Kinder in einem Anfall von Großzügigkeit ihrer unfruchtbaren Halbschwester Emma gab, weil, wie sie es damals ausdrückte, »eine Not bestand« und sie selbst außerdem gleich mit zweien gesegnet worden war. / Meine Großtante Eva, die mir mehr eine Mutter ist, als May es je war, ist genauso seltsam. Mit über achtzig Jahren führt Eva noch ihr eigenes Geschäft. Man kennt sie als Bostoner Brahmanin und als Hexe von Salem, obwohl sie in Wirklichkeit weder das eine noch das andere ist. Eigentlich ist Eva Unitarierin der alten Schule, mit einem Hang zum Transzendentalismus. Sie zitiert die Bibel in einem Atemzug mit Emerson und Thoreau. Aber seit ein paar Jahren drückt sich Eva nur noch mit Hilfe von Sprichwörtern und Redensarten aus, als könnte sie sich durch ausgediente Metaphern irgendwie von den unausweichlichen Folgen lossagen, die vorherzusagen sie bezahlt wird. / Eva betreibt seit fünfunddreißig Jahren einen Teesalon für Frauen und erteilt den wohlhabenden Kindern von der Küste nördlich Bostons erfolgreich Benimmunterricht. Wofür Eva jedoch in Erinnerung bleiben wird, ist ihre geradezu unheimliche Fähigkeit, in Spitze zu lesen. Aus aller Welt kommen Leute zu Eva, um sich von ihr weissagen zu lassen.