Der Kick - Ein Lehrstück über Gewalt. Ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2008, Kategorie Sachbuch
Vergleich zu frühere Preisbindung2
Verlag | DVA |
Auflage | 2007 |
Seiten | 285 |
Format | 20 cm |
Gewicht | 361 g |
ISBN-10 | 3421042136 |
ISBN-13 | 9783421042132 |
Bestell-Nr | 42104213M |
Das Opfer. Die Täter. Das Dorf. Unser Land. Marinus Schöberl war 16 Jahre alt, als er von drei Kumpels gefoltert und durch einen »Bordsteinkick« zu Tode getreten wurde. Nachbarn hatten die Misshandlungen mit angesehen und über Monate geschwiegen. Dieser grausame Mord und seine furchtbaren Begleiterscheinungen rückten das uckermärkische Dorf Potzlow in die Schlagzeilen der internationalen Presse. In den Medien stand er sinnbildlich für rechtsradikale Gewalt und eine verrohte Gesellschaft in den fünf neuen Bundesländern. Der Regisseur und Psychologe Andres Veiel wollte sich mit einfachen, raschen Antworten nicht begnügen. Viele Monate hat er in Potzlow und Umgebung recherchiert, hat Interviews mit den Tätern geführt, mit ihren Angehörigen und Bekannten gesprochen. Er zeichnet ein komplexes Bild von weit zurückreichenden Traumata und Gewalt, die bis heute unter einer dünnen Schicht von Bürgerlichkeit und Zivilisation in unserem Land virulent sind.
Leseprobe:
In der Nacht zum 13. Juli 2002 wurde der sechzehnjährige Marinus Schöberl von dem Brüderpaar Marco (dreiundzwanzig) und Marcel Schönfeld (siebzehn) sowie ihrem Kumpel Sebastian Fink (siebzehn) grausam misshandelt und schließlich von Marcel Schönfeld nach dem Vorbild des Bordsteinkicks aus dem Film »American History X« umgebracht. Obwohl es Zeugen und Mitwisser gab, blieb die Tat monatelang unentdeckt. / / Personen in der Reihenfolge ihres Auftretens / / JUTTA SCHÖNFELD, Mutter von Marco und Marcel / BIRGIT SCHÖBERL, Mutter von Marinus / VERHÖRENDER / MARCEL SCHÖNFELD, jüngerer Bruder von Marco, einer der Täter / ACHIM FIEBRANZ, Dorfbewohner / STAATSANWALT / MATTHIAS MUCHOW, Freund von Marinus Schöberl / TORSTEN MUCHOW, Vater von Matthias / JÜRGEN SCHÖNFELD, Vater von Marco und Marcel / BÜRGERMEISTER von Potzlow / BÜRGERMEISTER der Gemeinde Oberuckersee / FRAU aus dem Dorf / PFARRER von Potzlow / GUTACHTER (psychiatrischer Sachverständiger) / ERZIEHERIN in der Bildungseinrichtung / AUSBILDER in der Bildungseinrichtung / HEIKO GÄBLER, Lehrling, Freund von Sebastian Fink / MARCO SCHÖNFELD, Bruder von Marcel Schönfeld, einer der Täter / Angela Becker (Name geändert), Freundin von Marco / / JUTTA SCHÖNFELD: / Am Dienstag, da ging es los. Man kennt ja das mit der Zeitung und Fernsehen und plötzlich is man das selbst. RBB, Stern TV, RTL, alle wollten was erfahren, und der Polizist hat gesagt, alles abblocken. Die Nachbarschaft, wenn du raus kommst, denn wird grad noch so gegrüßt, und dann gehen sie wieder los. / Und abends sitzen wir dann hier, kriegen Anrufe, Mörder, Mörder. Denn hört man bloß ein Stöhnen im Hintergrund. Wir hatten so ne Angst gehabt, wir haben Bekannte angerufen, können wir bei Euch unterkommen? Die dann, wir rufen zurück, und dann haben sie zurückgerufen. - Ja, tut uns leid, musst uns verstehen, das geht nich, geh in ein Hotel. - Ich sage: - Aber ein Hotel kost ja aber auch Geld. - Ich hab denn gesagt, man kann nich wegrennen, wir habennischt gemacht, wir sind keine Mörder. - / Ich wusste, dass was passieren wird. Marco hat mich angerufen und gesagt, dass sie jetzt losziehen, Marcel und er, mit dem Sebastian. Am 12. Juli, in der Nacht. Ich war im Krankenhaus, da war Vollmond. Mir haben se ja Rückenmarkwasser gezogen, und da hab ich gedacht, ich muss nach Hause. Diese Unruhe, war so warm gewesen. / / BIRGIT SCHÖBERL: / Am 12. Juli ist Marinus mal wieder nach Potzlow gefahren. Er hatte vorher noch Video geguckt, so ein Trickfilmvideo. Und dann kam er mit seinem Rucksack, was er immer so drin hat, Badehose, Handtuch, Wechselwäsche, und dann hat er gesagt: Mutti, ich fahr nach Potzlow, ich schlaf da und komm Sonntag wieder. Tschüss, mach's gut. Das war's, was er zu mir gesagt hat. Hat er mir noch ne Kusshand zugeworfen, wie er es immer so machte. / Hat immer zu mir gesagt, wo er hingeht, weil er wusste, ich wollte es wissen. Ich komme um die und die Zeit, oder ich schlafe im Bauwagen. Im Sommer ist das ein kleinesAbenteuer. / Er wurde verhätschelt. Er wurde ja von seinen Schwestern geliebt. Er war eben das Küken. Marinus war nicht geplant, gefreut haben wir uns alle. Süßes Baby. Die Mädchen haben ihn manchmal ins Bett mitgenommen. Er durfte jede Nacht bei ner anderen schlafen. Man konnte ihm nicht böse sein, wenn er einen mit seinen dunklen Augen angeguckt hat. / Er hatte wohl Schulschwierigkeiten damals schon, aber, er hat sich Mühe gegeben, was er konnte eben. Ich hab ihn dann runter genommen von der normalen Schule, nach der ersten Klasse. Ich hab ihn nicht ausgeschimpft. Ich hab's versucht mit Reden, Marinus, du möchtest später mal die Fahrerlaubnis machen, da musst du lesen und schreiben können. / Und als er Sonntag nicht kam, da habe ich Montag angerufen. Vielleicht hat er sein Handy nicht geladen, oder er hat es ausgestellt. Oder er hat wieder mal die PIN vergessen. Wenn er kein Geld drauf hatte,